Tarmo Peltokoski ist eine Jahrhundertbegabung. Ein außergewöhnlicher Künstler, der einfach nicht anders kann, als Musik zu machen. Das zeigt sich schon in seiner Biografie, denn seine Eltern sind keine Berufsmusiker und das erste Mal saß er mit acht Jahren am Klavier – ein Alter, in dem viele andere schon eine jahrelange Ausbildung hinter sich haben. Zum Üben gezwungen habe ihn keiner, sagt er, und dass das mit Sicherheit auch nicht nötig gewesen wäre, merkt man schnell, wenn man mit ihm spricht. Lächelnd gerät er ins Schwärmen, wenn es um die Musik und um die Deutsche Kammerphilharmonie Bremen geht, wo er Principal Guest Conductor ist. Im Interview erzählt er von seinen Anfängen in der Musik, wie es sich angefühlt hat, das erste Mal vor einem Orchester zu stehen (furchtbar), und von seiner Faszination für Wagner. Das Interview findet per Zoom während einer Probenpause statt, denn Peltokoski ist gerade für ein Projekt in Finnland. Mit Kopfhörern sitzt er vor einer kahlen weißen Wand, lässig und professionell ist der 23-Jährige.
Tarmo Peltokoski, Sie haben mal gesagt, dass Sie nicht in einem musikalischen Haushalt aufgewachsen sind. Dafür haben Sie es mit 23 Jahren ganz schön weit gebracht.
Das stimmt, meine Eltern sind tatsächlich beides keine Musiker. Meine Großmutter war Gesangslehrerin, vielleicht habe ich meine Liebe zur Musik von ihr? Ich habe auch erst mit acht angefangen Klavier zu spielen.
Fast schon spät für einen Berufsmusiker…
Stimmt, aber ich finde das eigentlich ganz gut so. Andere werden schon mit vier Jahren gezwungen, ein Instrument zu spielen, und ich konnte die Welt der Musik ganz für mich alleine entdecken.
Sie waren auf dem besten Weg zu einer Pianistenkarriere, warum sind Sie Dirigent geworden?
Darauf gibt es eine Ein-Wort-Antwort: Wagner. Durch seine Werke haben mich plötzlich Orchester fasziniert. Ich habe versucht, Gesangspartien auf dem Klavier zu spielen und gemerkt, dass das nicht besonders gut klingt. Da wollte ich das Dirigieren wenigstens mal versuchen – für einen Elf- oder Zwölfjährigen irgendwie eine absurde Idee. Aber mit 14 habe ich die Möglichkeit dann bekommen.
Und wie hat es sich angefühlt, das erste Mal vor einem Orchester zu stehen?
Ganz schlimm! Ich mochte es überhaupt nicht. Es hat sich auch noch mindestens drei Jahre schlimm angefühlt. Aber gleichzeitig wollte ich es wirklich lernen und immer weiter versuchen. Als ich 14 war, hatte ich meinen ersten Meisterkurs bei dem großartigen Lehrer Jorma Panula und war damals total eingeschüchtert. Nach dem ersten Mal vor einem Orchester dachte ich, dass ich das nie wieder machen möchte. Aber Jorma Panula lud mich immer wieder zu seinen Meisterklassen ein. Und umso besser ich wurde, desto mehr wollte ich dirigieren. 2016 bin ich dann nach Helsinki gezogen und habe angefangen, regelmäßig zu dirigieren. Und dann wurden auch die Orchester besser, die ich dirigieren durfte. Das macht dann noch mehr Spaß.
Mittlerweile spielen Sie mit einigen der besten Orchester der Welt und sind Principal Guest Conductor der Deutschen Kammerphilharmonie Bremen ...
Im November 2020 habe ich das erste Mal mit der Kammerphilharmonie gespielt. Ich war zu der Zeit noch Student in Finnland und hatte nur ein paar lokale Auftritte. Dieses Orchester war wirklich bei Weitem das beste Orchester, mit dem ich je gespielt hatte. Es ist eine besondere Verbindung, mittlerweile kennen wir uns sehr gut – sie sind wie eine Familie für mich.
Manche vergleichen Orchester mit einem lebenden Organismus, aber wenn ich Sie so höre, frage ich mich, ob das wirklich passt. Der Großteil der Arbeit eines Dirigenten findet während der Proben statt und ein Orchester besteht aus vielen einzelnen Individuen. Da muss vermutlich auch viel zwischenmenschliche Arbeit geleistet werden. Wie in einer kleinen Demokratie.
Die Kammerphilharmonie ist wirklich das demokratischste Orchester, das ich kenne. Während der Proben sprechen sie zehnmal mehr als alle anderen Orchester, mit denen ich bisher zusammengearbeitet habe. Das macht die Arbeit zwar langsamer, aber auch vertrauter. Und ich finde, man hört es auch im Klang. Und dass ein Großteil meiner Arbeit während der Proben stattfindet… Hmm, das stimmt zwar, aber ich ändere während der Konzerte gern Kleinigkeiten, um alle wach und aufmerksam zu halten. Ich liebe diese kleinen Überraschungen und die Reaktionen in den Gesichtern der Musiker, wenn sie merken, dass ich etwas anders mache. Erst dann habe ich das Gefühl, Musik zu machen. Wenn eben nicht alles bis zur Perfektion durchgeprobt oder kontrolliert ist, sondern spontan und frei bleibt.
Wie spontan darf man denn sein?
Nehmen wir mal eine Mozart-Sinfonie. Die meisten Orchester könnten sie wunderbar ohne mich spielen, keiner braucht mich, um den Takt anzugeben. Natürlich kann ich keine riesigen Änderungen machen, aber Kleinigkeiten im Tempo zum Beispiel schon. Gerade probe ich eine Oper, davon gibt es sieben Aufführungen – wenn ich da ich immer nur das Gleiche mache, dann ist das doch langweilig! Wenn dann eine Sängerin ein bisschen improvisiert und etwas hinzufügt, das ich so vorher noch nicht gehört habe, dann macht mich das einfach glücklich.
Fühlt man sich eigentlich machtvoll, wenn man vor einem Orchester steht und alle machen müssen, was man sagt?
Macht ist gefährlich. Und die Beziehung zum Orchester ist kein einfaches Machtgefälle, sondern viel komplexer. Ohne das Orchester ist man als Dirigent überflüssig. Das Orchester ist kein Instrument, ich kann es nicht spielen. Wir sprachen ja eben davon, es ist eine Gemeinschaft von vielen Individuen. Der Job eines guten Dirigenten ist es, sie zusammenzubringen und in eine einheitliche Richtung zu leiten. Um der Musik wirklich zu dienen, muss ich eher lernen, die anderen loszulassen und mich selbst zu kontrollieren. Denn nur dann kann Musik atmen, fließen und frei sein.
Worauf bezieht sich die Selbstkontrolle?
Ich kann mich nicht benehmen wie das Kind, als das ich mich fühle, wenn ich zum Beispiel »Tristan und Isolde« von Wagner höre. Ich bin dann kindlich begeistert, es ist mein Lieblingswerk. Aber würde ich mich so vor ein Orchester stellen, dann wäre das ein komplettes Chaos. Das würde die Musik kaputtmachen.
Im Konzerthaus spielen Sie zwar nicht Wagner, aber Ihren zweiten Lieblingskomponisten, Mozart.
Ja, und es ist wirklich ein schönes Programm, auf das ich mich freue. Mozarts »Linzer Sinfonie« habe ich bei meinem ersten Konzert mit der Deutschen Kammerphilharmonie Bremen gespielt – ein imposantes Stück. Mit Jan Lisiecki spiele ich das Klavierkonzert von Beethoven, darin ist eher er der Experte.
Das Interview führte Anastasia Päßler.
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- Mitwirkende
- Mitwirkende
- Die Deutsche Kammerphilharmonie Bremen
- Tarmo Peltokoski Dirigent
- Jan Lisiecki Klavier
- Programm
- Programm
- Ludwig van Beethoven Konzert für Klavier und Orchester Nr. 4 G-Dur op. 58
- Frédéric Chopin Nocturne cis-moll KK IVa,16 op. posth. (Zugabe)
- – Pause –
- Ludwig van Beethoven Ouvertüre zu »Coriolan« c-moll op. 62
- Wolfgang Amadeus Mozart Sinfonie Nr. 36 C-Dur KV 425 »Linzer Sinfonie«
- Wolfgang Amadeus Mozart Ouvertüre zu »Le nozze di Figaro« KV 492 (Zugabe)
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